E5 Rick und Rachael – fremde Erinnerung II

Erinnerung und Identität


Alle Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens sammelt, werden im Gehirn auf die eine oder andere Weise verarbeitet. Ein wichtiger Effekt dabei: Wir lernen. Wissen, Bewegungsabläufe, Verhaltensweisen, moralische Maßstäbe – all dies wird Teil unserer Persönlichkeit und wir können vieles davon immer wieder abrufen. Doch die Erinnerung entspricht nicht immer den objektiven Tatsachen. Das wird deutlich, wenn nach einem Verkehrsunfall Zeugen befragt werden und
sich die Aussagen ganz erheblich widersprechen. Tiefgreifende körperliche oder seelische Verletzungen (Traumata) kann das Gehirn komplett aus dem Bewusstsein streichen – Gedächtnisverlust als Schutzmechanismus. Lange zurückliegende Ereignisse werden gerne verklärt oder mischen sich mit Wünschen und den Erinnerungen, die andere Menschen uns mitteilen.

Künstliche Intelligenz und Erinnerung


Erinnerung als etwas selbst Erlebtes zu begreifen, setzt ein Bewusstsein voraus: Menschen wissen, dass sie sie selbst sind. Rachael hat diese Fähigkeit ebenfalls (zumindest glaubt sie zu wissen, wer sie ist). In der Realität können künstliche intelligente Systeme so etwas nicht. Sie funktionieren anders als menschliche Gehirne und sind auf dem heutigen Stand nicht in der Lage, ein Selbstbewusstsein zu entwickeln. Sie können allerdings dazu beitragen, die menschliche Denkfähigkeit zu erweitern. So hat die Psychologin Julia Shaw einen Chatbot entwickelt, der Menschen helfen soll, die schikaniert oder belästigt wurden. Über solche Erfahrungen sprechen die meisten Menschen nur ungern. Für eine Beschwerde oder ein Gerichtsverfahren ist es aber wichtig, die Ereignisse präzise festzuhalten. Der Chatbot übernimmt die Rolle eines künstlichen Zuhörers und stellt mittels intelligenter Sprachanalyse gezielt Fragen zu dem, was ihm per Chat mitgeteilt wird. Anschließend kann man sich ein Protokoll des Chats ausdrucken und es – wenn man will – für weitere Schritte verwenden. Der Chatbot kann über die Seite www.talktospot.com (englischsprachig) aufgerufen werden.

Aufgaben

  • Stellen Sie sich vor, Sie erführen, dass Ihre ersten Erinnerungen bis zu Ihrem zehnten Lebensjahr gelöscht würden. Was würde sich für Sie verändern, wie würden Sie mit der Situation umgehen? Notieren Sie sich dazu Stichworte.
  • Tauschen Sie sich über Ihre Notizen mit einer*m Lernpartner*in aus. Lesen Sie den Text und beschreiben Sie in eigenen Worten, welche Rolle Erinnerung für die eigene Identität spielt. Welche Bedeutung hat sie für Rachael in BLADE RUNNER?
  • Entwickeln Sie eine weitere Idee, wie Künstliche Intelligenz menschliche Erinnerungen unterstützen könnte.
  • Der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) hat versucht, die menschlichen Denk- und Erkenntnismöglichkeiten systematisch zu beschreiben. Das führte ihn zu dem Satz „Ich denke, also bin ich“. Im Film BLADE RUNNER wird dieser Satz von der Replikantin Pris ausgesprochen, als sie von dem Gentechniker J.F. Sebastian eine Lebenszeitverlängerung verlangt. Auch der Name Deckard klingt wie eine amerikanische Variante von Descartes. Deuten Sie diese Anspielungen.